Der Oktober 1949 war ein denkwürdiger Monat für den Sozialismus. Während in Mitteleuropa die DDR gegründet wurde, entstand in Ost- asien die Volksrepublik China. Zwei dem Namen nach sozialistische Staaten, die auf derselben Idee basierten, aber in ihrer Gestaltung unterschiedlicher nicht sein konnten. Auch das klägliche Ende der DDR und das erfolgreiche Überleben der VR China sind letztlich das Ergebnis grundsätzlicher Unterschiede. Die DDR war von ihrem Beginn an bereits als Satellitenstaat der Sowjetunion geplant, wenn auch die gemeinsame Führung durch den Kommunisten Wilhelm Pieck und den Sozialdemokraten Otto Grotewohl für den einen oder anderen Heimkehrer aus dem Exil noch Hoffnungen auf den Neubeginn in einem besseren, sozialistischen Deutschland nährte. Der Zusammenschluss von KPD und SPD zur SED war von Beginn an eine Zwangsmassnahme, die keinen Widerspruch duldete und die nicht zuletzt von Stalins Statthalter Walter Ulbricht, einem kalten Opportunisten, organisiert wurde. Darüber hinaus, führte die enge wirtschaftliche Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion zu einer Behinderung der Bemühungen, eine leistungsfähige Volkswirtschaft aufzubauen. Eine missglückte Planwirtschaft tat ihr Übriges, und irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem sich alle, Bürger wie Partei- kader, mit der Situation abfanden. Lethargie senkte sich über das Land, und eine vergreisende politische Führung übte sich im Prakti- zieren von Ritualen. Dies führte 1989 bekanntlich zum politischen und wirtschaftlichen Bankrott und in der Folge zum Kollaps der DDR. Abb.: Der TianAnMen - Platz vor der "Verbotenen Stadt" Anders verlief die Entwicklung der VR China. Am Ende des 2. Weltkriegs, nachdem japanische Truppen das Land verlassen hatten, war China wieder das, was es seit dem Zerfall des Kaiserreiches unverändert gewesen war: Eine riesige, praktisch unregierbare Landmasse, in der regionale Herren nach eigenem Gutdünken herrschten und immer noch Leibeigenschaft und Skaverei existierten. Ein grosser Teil der Bevölkerung vegetierte in extremer Armut. Die nationale Regierung der Kuomintang kontrollierte nur bestimmte Regionen, und ihre Armee versuchte den zunehmenden Einfluss der Kommunisten zu bekämpfen, was ihr zunächst auch gelang. So begann der berühmte Lange Marsch der Kommunisten in den Jahren 1934 und 1935 als eine Flucht vor den Regierungstruppen. Auf diesem Marsch der 90.000, den nur ca. 10% der ursprünglichen Teilnehmer überlebten, wurde Mao Zedong zum Anführer. Es gelang ihm und seinen Mitstreitern, die Bevölkerung des Landes für seine Ideale einzunehmen. Bauern, die fremde Soldaten bisher nur als gewalttätige Plünderer kennen gelernt hatten, waren auf einmal bereit, deren Gedankengut zu übernehmen. Als Mao Zedong im Oktober 1949 schließlich die Volksrepublik China ausrief, waren immer noch wichtige Kämpfe auszufechten bis die Volksrepublik China zu einem einheitlichen Staatsgebilde wurde. Die Einigung Chinas ist das eigentliche Verdienst Maos, unabhängig von seinen Fehlern und Verfehlungen, die das Land 1966 ins Chaos der Kulturrevolution stürzten. Dabei muss betont werden, dass Mao sich schon früh von der politischen Linie abgrenzte, die von der verbündeten Sowjetunion vorgegeben wurde. Sein persönliches Verhältnis zu Stalin war ambivalent, das heißt er ließ sich von Stalin nichts gefallen. Sein Nachfolger Deng Xiaoping hatte früh erkannt, dass eine permanente Revolution die Ressourcen des Landes sinnlos vergeudet, und verkündete 1978 seine Wirtschaftspolitik, die zu einer teilweisen Öffnung Chinas führte. Obwohl Deng wegen seines Vorgehens gegen die Demokratie-Bewegung Chinas im Jahr 1989 vom Wohltäter zum Unterdrücker wurde, blieb seine Wirtschaftspolitik ein Segen für das Land. Sieht man heute chinesische Touristen in München, die sich an den Schaufenstern mit Luxusuhren die Nasen platt drücken, dann ahnt man, wie sehr sich China seither verändert haben muss. Bei meinem Besuch in Peking in den späten 1990er Jahren gab es hier schon moderne Einkaufszentren und eine MacDonalds-Filiale mit einem eher bescheidenen Angebot. Soweit ich mich erinnere, wurde nur ein einfacher Burger angeboten, den man bei uns als "Basic" bezeichnen würde, und ein paar junge Leute saßen vor ihrem Milchshake. Es schien offensichtlich, dass der Besuch eines westlichen Burger-Restaurants eher ein Statussymbol als Normalität war, selbst im Geschäftszentrum der Hauptstadt. Es gab in der Umgebung auch einige Bettler, die verstohlen in den Abfallkörben suchten und auch ihre Landsleute ansprachen. Einen ausländischen Touristen anzubetteln war aber anscheinend tabu. Die Bettler gingen mir sogar aus dem Weg, vermutlich aus Angst vor der Polizei. Aus Indien war ich da ganz andere Szenen gewohnt. Ein blinder Bettler saß in einer dunklen Straßenunterführung und spielte voller Hingabe auf seiner ErHu, einem traditionellen Musik- instrument. Hin und wieder tastete er seine Umgebung nach den Münzen ab, die ihm seine Landsleute achtlos hingeworfen hatten. In einer gut besuchten Garküche versuchte eine ärmlich aussehende alte Frau vergeblich, ihre dicken silbernen Armreifen an die Gäste zu verkaufen. Einer von ihnen, ein junger Mann mit abgetragenem Militärmantel, wies in meine Richtung, aber die Frau, die vermutlich zu einer nationalen Minderheit gehörte, schüttelte nur den Kopf und verließ dann auffallend schnell den Raum. Sicher ist aber, dass es heute vielen Chinesen besser geht als der Generation ihrer Eltern. In gleichem Maße nimmt auch die Akzeptanz des Systems bei der beruflich erfolgreichen Elite zu, Überwachung und Sozialpunktesystem können anscheinend mühelos ausgeblendet werden. Irgendwie erinnert mich das alles an eine alte Kabarettnummer der (West-)Berliner Stachelschweine aus der Zeit des kalten Krieges. Da hieß es, man solle sich einen demokratischen Staat vorstellen, in dem aber die Volkswirtschaft den materiellen Ansprüchen der Bürger nicht gerecht wird, sodass eine Mangelsituation herrscht. Auf der anderen Seite hätte man aber ein totalitäres Regime, in dem die materiellen Wünsche der Bürger leicht zu erfüllen wären. Die Frage stellte sich nun, in welche Richtung man in diesem Fall fliehen würde. Abb.: Chinas Ministerpräsident Zhou Enlai trifft seinen Amtskollegen Otto Grotewohl (1954) Um den Kreis zu schließen, fehlt hier nur noch ein Schlusswort zum Verhältnis zwischen der DDR und der Volksrepublik China. Einige deutsche Fluggäste, die mit mir zusammen aus Peking abflogen, kamen offensichtlich aus den neuen Bundesländern und machten kein Hehl daraus, welcher Firma sie nahestanden. Aus ihren Sprüchen und dem auffallend rotzigen Auftreten ging hervor, dass sie sich im sozialistischen China zu Hause fühlten. Einen, der zu dieser Gruppe gehörte, hatte ich schon wenige Tage zuvor bei einem Besuch des Himmelstempels und durch puren Zufall dabei beobachtet, wie er einem Chinesen mit Ballonmütze diskret ein Bündel Banknoten in die Manteltasche schob. Da zu jener Zeit kaum noch ein Bewohner Pekings solch eine Kopfbedeckung trug, konnte man schon fast vermuten, dass es sich hierbei um eine Art Erkennungszeichen handelte. Ich bin danach auch prompt von der Videokamera dieses „Landsmannes“ heimlich von der Seite aufge- nommen worden. Anscheinend war ich aber nicht der einzige, dem diese Leute unangenehm auffielen. Wie dem auch sei: Der Glaube an eine sozialistische Freundschaft zwischen DDR und Volksrepublik China schien mir damals schon eine krasse Fehleinschätzung zu sein. Es war eher so, dass China mit den Bundesbürgern einträglichere Geschäfte machen konnte als mit DDR-Vertretern. Immerhin muss es 1989 in China einen Horchposten des Bundesnachrichtendienstes an der Grenze zur Sowjetunion gegeben haben, wie in der Presse bekannt wurde. Die Furcht vor Auslieferung an China war deshalb ein wichtiger Grund für politische Flüchtlinge der chinesischen Demokratiebe- wegung, eher in Frankreich als in Deutschland unterzutauchen. Ein wenig bekannter Fall ist die Entführung eines chinesischen Diplomaten in unmittelbarer Nähe seiner Botschaft in Ost-Berlin durch die Staatssicherheit. Der Diplomat, dem man eine absurde Agententätigkeit vorwarf, wurde in Isolationshaft gehalten und erst Jahre später, nachdem die Bundesregierung von seiner Existenz erfahren hatte, aus humanitären Gründen und zusammen mit anderen Häftlingen frei gekauft. Hier veröffentlichte er seine Geschichte und wurde später auch von den chinesischen Behörden, die ihn lange für einen Überläufer gehalten hatten, rehabilitiert. Epilog: Während sich die DDR im Jahre 1989 bekanntermaßen selbst erledigt hat, feiert die Volksrepublik China an ihrem 70. Jahrestag nach wie vor wirtschaftliche und technologische Erfolge, wenn auch um den Preis einer Einschränkung persönlicher Freiheiten als Folge ihrer ideologi- schen Basis. Die weitere Entwicklung Chinas bleibt sicher spannend, wohin sie auch immer führen mag. Dagegen hat es das 40jährige Experiment DDR am 30. Jahrestag seines Scheiterns verdient, in Vergessenheit zu geraten und sein kühles Grab in den Geschichtsbüchern zu finden. Denn man muss hier realistisch sein: Nachfolgende Generationen werden vermutlich jeden runden Jahrestag des Mauerfalls und der Wiedervereinigung mit den Worten quittieren: und die muss wirklich spektakulär gewesen sein ! Ulysses am 3. Oktober 2019 Ein umfangreicher Zeitzeugenbericht, entstanden zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung, beschreibt die Wahrnehmung der DDR aus der Sicht eines Westberliners: "Die ruinierte Auferstehung" |
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Thursday, October 03, 2019
China und die DDR - Zwei sozialistische Experimente
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