Thursday, October 03, 2019

China und die DDR - Zwei sozialistische Experimente


Der Oktober 1949 war ein denkwürdiger Monat für den Sozialismus.
Während in Mitteleuropa die DDR gegründet wurde, entstand in Ost-
asien die Volksrepublik China. Zwei dem Namen nach sozialistische
Staaten, die auf derselben Idee basierten, aber in ihrer Gestaltung
unterschiedlicher nicht sein konnten. Auch das klägliche Ende der
DDR und das erfolgreiche Überleben der VR China sind letztlich das
Ergebnis grundsätzlicher Unterschiede.

Die DDR war von ihrem Beginn an bereits als Satellitenstaat der
Sowjetunion
geplant, wenn auch die gemeinsame Führung durch den
Kommunisten Wilhelm Pieck und den Sozialdemokraten Otto Grotewohl
für den einen oder anderen Heimkehrer aus dem Exil noch Hoffnungen
auf den Neubeginn in einem besseren, sozialistischen Deutschland
nährte.

Der Zusammenschluss von KPD und SPD zur SED war von Beginn an eine
Zwangsmassnahme, die keinen Widerspruch duldete und die nicht
zuletzt von Stalins Statthalter Walter Ulbricht, einem kalten
Opportunisten, organisiert wurde. Darüber hinaus, führte die enge
wirtschaftliche Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion zu einer
Behinderung der Bemühungen, eine leistungsfähige Volkswirtschaft
aufzubauen. Eine missglückte Planwirtschaft tat ihr Übriges, und
irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem sich alle, Bürger wie Partei-
kader, mit der Situation abfanden. Lethargie senkte sich über das
Land
, und eine vergreisende politische Führung übte sich im Prakti-
zieren von Ritualen. Dies führte 1989 bekanntlich zum politischen
und wirtschaftlichen Bankrott und in der Folge zum Kollaps der DDR.

Abb.: Der TianAnMen - Platz vor der "Verbotenen Stadt"


Anders verlief die Entwicklung der VR China. Am Ende des 2. Weltkriegs,
nachdem japanische Truppen das Land verlassen hatten, war China wieder
das, was es seit dem Zerfall des Kaiserreiches unverändert gewesen war:
Eine riesige, praktisch unregierbare Landmasse, in der regionale Herren
nach eigenem Gutdünken herrschten und immer noch Leibeigenschaft und
Skaverei existierten. Ein grosser Teil der Bevölkerung vegetierte in
extremer Armut.

Die nationale Regierung der Kuomintang kontrollierte nur bestimmte
Regionen, und ihre Armee versuchte den zunehmenden Einfluss der
Kommunisten zu bekämpfen, was ihr zunächst auch gelang. So begann
der berühmte Lange Marsch der Kommunisten in den Jahren 1934 und
1935 als eine Flucht vor den Regierungstruppen. Auf diesem Marsch
der 90.000, den nur ca. 10% der ursprünglichen Teilnehmer überlebten,
wurde Mao Zedong zum Anführer. Es gelang ihm und seinen Mitstreitern,
die Bevölkerung des Landes für seine Ideale einzunehmen. Bauern, die
fremde Soldaten bisher nur als gewalttätige Plünderer kennen gelernt
hatten, waren auf einmal bereit, deren Gedankengut zu übernehmen. Als
Mao Zedong im Oktober 1949 schließlich die Volksrepublik China ausrief,
waren immer noch wichtige Kämpfe auszufechten bis die Volksrepublik
China zu einem einheitlichen Staatsgebilde wurde. Die Einigung Chinas
ist das eigentliche Verdienst Maos, unabhängig von seinen Fehlern und
Verfehlungen, die das Land 1966 ins Chaos der Kulturrevolution stürzten.

Dabei muss betont werden, dass Mao sich schon früh von der politischen
Linie abgrenzte, die von der verbündeten Sowjetunion vorgegeben wurde.
Sein persönliches Verhältnis zu Stalin war ambivalent, das heißt er ließ
sich von Stalin nichts gefallen.

Sein Nachfolger Deng Xiaoping hatte früh erkannt, dass eine permanente
Revolution die Ressourcen des Landes sinnlos vergeudet, und verkündete
1978 seine Wirtschaftspolitik, die zu einer teilweisen Öffnung Chinas
führte. Obwohl Deng wegen seines Vorgehens gegen die Demokratie-Bewegung
Chinas im Jahr 1989 vom Wohltäter zum Unterdrücker wurde, blieb seine
Wirtschaftspolitik ein Segen für das Land.

Sieht man heute chinesische Touristen in München, die sich an den
Schaufenstern mit Luxusuhren die Nasen platt drücken, dann ahnt man,
wie sehr sich China seither verändert haben muss.

Bei meinem Besuch in Peking in den späten 1990er Jahren gab es hier
schon moderne Einkaufszentren und eine MacDonalds-Filiale mit einem
eher bescheidenen Angebot. Soweit ich mich erinnere, wurde nur ein
einfacher Burger angeboten, den man bei uns als "Basic" bezeichnen
würde, und ein paar junge Leute saßen vor ihrem Milchshake. Es schien
offensichtlich, dass der Besuch eines westlichen Burger-Restaurants
eher ein Statussymbol als Normalität war, selbst im Geschäftszentrum
der Hauptstadt.

Es gab in der Umgebung auch einige Bettler, die verstohlen in den
Abfallkörben suchten und auch ihre Landsleute ansprachen. Einen
ausländischen Touristen anzubetteln war aber anscheinend tabu.
Die Bettler gingen mir sogar aus dem Weg, vermutlich aus Angst
vor der Polizei. Aus Indien war ich da ganz andere Szenen gewohnt.
Ein blinder Bettler saß in einer dunklen Straßenunterführung und
spielte voller Hingabe auf seiner ErHu, einem traditionellen Musik-
instrument. Hin und wieder tastete er seine Umgebung nach den
Münzen ab, die ihm seine Landsleute achtlos hingeworfen hatten.
In einer gut besuchten Garküche versuchte eine ärmlich aussehende
alte Frau vergeblich, ihre dicken silbernen Armreifen an die Gäste
zu verkaufen. Einer von ihnen, ein junger Mann mit abgetragenem
Militärmantel, wies in meine Richtung, aber die Frau, die vermutlich
zu einer nationalen Minderheit gehörte, schüttelte nur den Kopf und
verließ dann auffallend schnell den Raum.

Sicher ist aber, dass es heute vielen Chinesen besser geht als
der Generation ihrer Eltern. In gleichem Maße nimmt auch die
Akzeptanz des Systems bei der beruflich erfolgreichen Elite zu,
Überwachung und Sozialpunktesystem können anscheinend
mühelos ausgeblendet werden.

Irgendwie erinnert mich das alles an eine alte Kabarettnummer der
(West-)Berliner Stachelschweine aus der Zeit des kalten Krieges.
Da hieß es, man solle sich einen demokratischen Staat vorstellen,
in dem aber die Volkswirtschaft den materiellen Ansprüchen der
Bürger nicht gerecht wird, sodass eine Mangelsituation herrscht.
Auf der anderen Seite hätte man aber ein totalitäres Regime, in
dem die materiellen Wünsche der Bürger leicht zu erfüllen wären.
Die Frage stellte sich nun, in welche Richtung man in diesem Fall
fliehen würde.

Abb.: Chinas Ministerpräsident Zhou Enlai trifft
seinen Amtskollegen Otto Grotewohl (1954)


Um den Kreis zu schließen, fehlt hier nur noch ein Schlusswort
zum Verhältnis zwischen der DDR und der Volksrepublik China.

Einige deutsche Fluggäste, die mit mir zusammen aus Peking
abflogen, kamen offensichtlich aus den neuen Bundesländern
und machten kein Hehl daraus, welcher Firma sie nahestanden.
Aus ihren Sprüchen und dem auffallend rotzigen Auftreten ging
hervor, dass sie sich im sozialistischen China zu Hause fühlten.
Einen, der zu dieser Gruppe gehörte, hatte ich schon wenige Tage
zuvor bei einem Besuch des Himmelstempels und durch puren Zufall
dabei beobachtet, wie er einem Chinesen mit Ballonmütze diskret
ein Bündel Banknoten in die Manteltasche schob. Da zu jener Zeit
kaum noch ein Bewohner Pekings solch eine Kopfbedeckung trug,
konnte man schon fast vermuten, dass es sich hierbei um eine Art
Erkennungszeichen handelte. Ich bin danach auch prompt von der
Videokamera dieses „Landsmannes“ heimlich von der Seite aufge-
nommen worden. Anscheinend war ich aber nicht der einzige, dem
diese Leute unangenehm auffielen.

Wie dem auch sei: Der Glaube an eine sozialistische Freundschaft
zwischen DDR und Volksrepublik China schien mir damals schon
eine krasse Fehleinschätzung zu sein. Es war eher so, dass China
mit den Bundesbürgern einträglichere Geschäfte machen konnte
als mit DDR-Vertretern. Immerhin muss es 1989 in China einen
Horchposten des Bundesnachrichtendienstes an der Grenze zur
Sowjetunion gegeben haben, wie in der Presse bekannt wurde.
Die Furcht vor Auslieferung an China war deshalb ein wichtiger
Grund für politische Flüchtlinge der chinesischen Demokratiebe-
wegung, eher in Frankreich als in Deutschland unterzutauchen.

Ein wenig bekannter Fall ist die Entführung eines chinesischen
Diplomaten in unmittelbarer Nähe seiner Botschaft in Ost-Berlin
durch die Staatssicherheit. Der Diplomat, dem man eine absurde
Agententätigkeit vorwarf, wurde in Isolationshaft gehalten und
erst Jahre später, nachdem die Bundesregierung von seiner Existenz
erfahren hatte, aus humanitären Gründen und zusammen mit anderen
Häftlingen frei gekauft. Hier veröffentlichte er seine Geschichte
und wurde später auch von den chinesischen Behörden, die ihn
lange für einen Überläufer gehalten hatten, rehabilitiert.

Epilog:
Während sich die DDR im Jahre 1989 bekanntermaßen selbst erledigt
hat, feiert die Volksrepublik China an ihrem 70. Jahrestag nach wie vor
wirtschaftliche und technologische Erfolge, wenn auch um den Preis
einer Einschränkung persönlicher Freiheiten als Folge ihrer ideologi-
schen Basis. Die weitere Entwicklung Chinas bleibt sicher spannend,
wohin sie auch immer führen mag.

Dagegen hat es das 40jährige Experiment DDR am 30. Jahrestag seines
Scheiterns verdient, in Vergessenheit zu geraten und sein kühles Grab in
den Geschichtsbüchern zu finden. Denn man muss hier realistisch sein:
Nachfolgende Generationen werden vermutlich jeden runden Jahrestag
des Mauerfalls und der Wiedervereinigung mit den Worten quittieren:

Das Beste an der DDR war demnach ihre Auflösung,
und die muss wirklich spektakulär gewesen sein !

Ulysses am 3. Oktober 2019


Ein umfangreicher Zeitzeugenbericht, entstanden zum 20. Jahrestag
der Wiedervereinigung, beschreibt die Wahrnehmung der DDR aus der
Sicht eines Westberliners: "Die ruinierte Auferstehung"



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